Recasting Space

Begebenheiten

Die 3 Ausstellungsräume bekommen eine unterschiedliche Definitionen.
Diese thematisieren das Verhältnis von 'Kunstort' und 'Kunsttat' und stellen das Kunstgeschehen mit zur Debatte.
In der PREIS-HÄNGUNG geht es um die Auswahl der Hängung. Diese bestimmt sich aus angeeigneten Werken kaufkräftiger Besitzer.
So wird mehr und mehr öffentliches Geld benutzt, um Museen für kapitalmächtige Sammler und ihre Sammlungen zu bauen.
STUDIO, ist der Ort der Produktion, die weiße Leinwand, auf der sich die (Licht)bilder fangen.

  • Der Raum TAT.ORT. 001-007 nimmt Bezug auf den Ausstellungsraum für den die Arbeiten entstanden sind.
  • Es war eine Installation im Gastraum "Tatort", die den Gästen die der Ermittelnden zuweist.

 

Belinda Grace Gardner: Eröffnungsrede (Gekürzte Fassung)

Recasting Space, Frappant Galerie, Viktoria-Kaserne, Hamburg

Eröffnung: 7. November 2014

 

„Die Transzendenz“, schreibt der französische Theoretiker Jean Baudrillard in seinem bekannten Essay „Videowelt und fraktales Subjekt“, „ist in Tausende von Fragmenten zerborsten, die wie Bruchstücke eines Spiegels sind, in denen wir flüchtig noch unser Spiegelbild greifen können, bevor es vollends verschwindet.“ Wir befinden uns hier, am künstlerisch-kriminologischen Schauplatz der Ermittlerin und Akteurin und auch des Gegenstands der eigenen Untersuchung in Personalunion, Dorothee Daphi, an einem Ort der Fragmente, der Andeutungen und Indizien, der Leerstellen und offenen Fragen.

 

Anders aber als in Baudrillards Abgesang auf das zunehmende Verschwinden des Subjekts in einer fraktalen „Zersplitterung ins Identische“ im Zuge von dessen endloser Reduplizierung auf unzähligen Bildschirmen, ist die Künstlerin indes den vielen Gesichtern und Geschichten auf der Spur, aus denen sich die Wirklichkeit und spezifisch die eigene Identität in dieser Wirklichkeit konstituiert. Ihre Rollen oszillieren zwischen Reflexion und Handlung, zwischen Denken, Tun, Produzieren und Forschen. Vor allem sind das Forschen und Nachforschen wesentliche Aktionsfelder, in denen sie sich auf multiplen Ebenen und Pfaden durch verschiedene Medien und Wandlungsprozesse hindurch bewegt.

 

Dorothee Daphis vielsträngige multimediale Kunst, die Malerei, Zeichnungen und Installationen, Film, Fotografie, Performance und andere theatrale Formate umfasst, ist zutiefst welthaltig und zugleich von den bisweilen surrealen Interrelationen zwischen den Dingen, die unsere Welt, unser Leben heute ausmachen, auf profunde Weise durchwirkt. Ihre Kunst ist einerseits dezidiert politisch, insofern sie sich vehement für das Schaffen von Freiräumen für ebendiese Kunst in allen denkbaren Formen einsetzt und ihr Handeln als Künstlerin im steten Rapport mit der Sphäre des öffentlichen Lebens und in kollektiven Netzwerken begreift.

 

„Recasting Space“ heißt diese kammerspielartige Übersichtsausstellung: „Ermittlungen im Raum“. Der Raum der Bilder, die Bildräume ebenso wie der Raum, der die Bilder umgibt, in dem sie als Objekte der Rezeption, Reflexion und Wert-Schätzung, des Dialogs und der Erkundung buchstäblich „zur Schau gestellt“ sind, wird von Dorothee Daphi neu gedacht, im Sinne eines Überdenkens und Neudenkens, der Aushebelungen bisheriger Annahmen und deren Re-Formulierung und Re-Positionierung.

 

Ausgangspunkt ist hier der TAT.ORT. Die Implikationen liegen auf der Hand. Man hört schon im Geiste die Eingangsmelodie des Sonntagabendkrimis, sieht das Auge zur Zielscheibe werden. Das Auge hier als Zielscheibe, auf die ein künstlerisches Geschehen prallt.

Was aber hier geschehen ist, offenbart sich nicht auf Anhieb. Man muss näher herantreten an die Bilder in Fragmenten von Raumzeichnungen. Ein Erinnerungsraum, der aus einem realen TAT.ORT hervorgegangen ist. Skizenhafte Zuordnung zu dem Ort, auf den die Bilder zugeschnitten wurden

Die Bilder, die jetzt zwischen virtuelle Fenster platziert sind, sind selektierte Spuren der Theatermalerei. Die Grundlage, oder die Leinwand, auf der sich die Farben, Formen und Zeichen manifestieren, sind die Bodentücher, in denen sich beim Malen der Bilder/Prospekte Spuren des Malprozesses eingeschrieben haben. Diese „indirekte“ Malerei, im Prinzip das Gegenstück zur „eigentlichen“ Malerei – also eine der Materialisierungen, die die Künstlerin durch ihre kreative TAT in den Mittelpunkt rückt – diente ihr als Terrain, als ORT, für die Platzierung weiterer Spuren.

 

Wenn man genau hinschaut, entdeckt man vielleicht die Silhouette eines Kopfs, eines Beins, oder auch einer Hand. Stückweise verdichten sich die Splitter in Gedanken zu einem Gesamtbild: Die Umrisse eines Menschen, genau gesagt, des Körpers der Künstlerin, sind darin verborgen und lassen sich nun ermitteln.

 

Hier werden wir selbst zu Ermittlerinnen und Ermittlern, begeben uns mit auf die Suche nach den Zusammenhängen.

 

Die Geschichten, die sich durch Schichtungen hindurch erzählen, sind ein wesentlicher Leitfaden der künstlerischen Mehrfach-Strategie der Spurensicherung. Dorothee Daphis Arbeiten lassen an Palimpseste denken, jene vielfach beschriebenen und überschriebenen Manuskripte der Antike, in deren Tiefenstrukturen kaum noch sichtbare Zeichen und Botschaften geborgen sind, die dennoch als „Denk-„ oder „Erinnerungsräume“ bestehen bleiben.

 

Vom TAT.ORT aus gelangen wir in einen Möglichkeitsraum. Das STUDIO, das sich hier dem Blick öffnet, setzt der Fülle bewusst die Leerstelle entgegen. Die Tabula rasa der weißen Leinwand verweist auf die Malerei und die bewegten Bilder des Films, aber auch auf die Freifläche des unbeschriebenen Blatts. Die Abwesenheit beschwört die Anwesenheit der Zeichen, der Farben, der Formen, des Lebens, der Geschichten. Es ist ein Ort des Werdens, an dem sich die Dinge anschicken Gestalt anzunehmen. Das STUDIO ist aber auch der Raum der Arbeit, der Produktion.

Hier finden wir das Clip- und Storyboard für einen fiktiven Film, eine Skizze für den Subtext hinter den Ereignissen. Die Video Performance „Cut" ist ein Loop, in der die Künstlerin eigenhändig ihre Haare schneidet und wieder unter der Perücke hervorschüttelt. Die Andeutung im Kämmen der Haare erinnert an 'Artist must be beautiful'. Aber die Erwartung erfüllt sich nicht, es wird zur Schere gegriffen.

 

Im letzten Raum stoßen wir auf die „PREIS-HÄNGUNG“, wo nun die Künstlerin zur Kuratoren ihrer eigenen Arbeit, Geschichte und Geschichten, Bilder und Zeichen wird. Der Blick fällt auf eine weibliche Figur, die kopfüber in der Luft hängt, eine Akrobatik des freien Falls. Die Szene trägt den Titel „Beste Lage“ und entspringt dem Engagement der Künstlerin, gegen die wachsende Gentrifizierung und parallele Zerstörung von Räumen für die Kunst einzutreten. Die skizzenhafte Anmutung lässt offen, ob sich der Zustand des „In-der-Luft-Hängens“ auflösen und verfestigen wird. Desgleichen in den Bildern der Leerstellen: das eine Bild ein Ort des Wartens oder möglichen Wirkens – eine Tabula rasa, die wie die leere Leinwand der künstlerischen Be-Setzung harrt, das andere Rahmung einer Versammlung, die sich um einen runden Tisch herum trifft, hinter sich ebenjene leere Rahmen, als müssten die Bilder erst noch geschaffen werden, die Visionen dieser Gruppe, oder aber als hätten sie selbige bereits entfernt, ein letztes Treffen vor dem endgültigen Auszug und kämpferischen auf die Straße Gehens. Auch hier wieder das Spiel zwischen Vor- und Nachher, Vision und Scheitern, Auflösung und Verwirklichung.

 

Das Re-Kreieren von persönlicher Geschichte wird in der „Schwarzen Serie“ zum Thema, wo verschwundene, zerstörte Bilder aus der Erinnerung heraus wiederauferstehen, wenn auch in verwandelter Gestalt. Sie sind mit fotografischen Zeugnissen des Befremdlichen im Alltäglichen gepaart. Hier tritt die Ermittlerin durch die Hintertür wieder in Erscheinung: Im Brachgebiet des einstigen Bahnhofsgeländes in Altona hat sie diverse Indizien für das Thema „Control“ gefunden: seltsame Objekte, die ihrer Funktion enthoben, jetzt neuen Lesarten offen stehen.

 

Auch die Kleinformate, die in dichter Hängung zum Cluster zusammengestellt sind, kreisen um die Inkongruenzen, die sich im Raum der Wirklichkeit eingezeichnet haben, wie etwa die Chinoiserien, die als Aneignung des Fremden im höfischen Dresdener Ensemble des 18. Jahrhunderts als frühes bildnerisches Sampling samt Remix greifbar werden. Eine ästhetische Übernahme, die eine Bild- und Kulturverzerrung birgt. Dorothee Daphi deckt sie in ihrer malerischen Indiziensicherung schlaglichtartig auf.

 

Die „PREIS-HÄNGUNG “ orientiert sich nicht zuletzt an den zum glamour-trächtigen Format mutierten Hängungen, die anlässlich großer Kunstpreisverleihungen wie etwa des Turner-Preises in London von den Preistragenden selbst in Szene gesetzt werden. Dorothee Daphi setzt hier wieder eine Doppelstrategie ein: Denn sie präsentiert sich nicht nur als Kuratorin ihrer eigenen Arbeiten im Format „Preis-Hängung“. Sie stellt auch dieses Format selbst dabei in Frage.

Mit der Thematisierung der Kriterien der Präsentation, sei es marktbestärkende Selbstdarstellungen, der Geschmack der Sammlern die die Museen füllen, oder das Spektakel der Höchstgehandelten ist als kritische Beleuchtung eines Kunstbetriebs eingesetzt.

 

„Die Aufgabenstellung, der Welt zu begegnen, die Veränderungen und Vorgänge in der Kulturlandschaft zu lesen,“ sagt die Künstlerin, „ist für mich ein Teil der Auseinandersetzug in dem Geschehen ‚Kunst’.“ Die Bilder, so Dorothee Daphi weiter, formen sich aus den „Lebens-Umständen“, den Vorgängen, Hürden auch, Gegebenheiten, dem ganzen prallen Paket dessen, was es im Leben zu erfahren und zu gestalten gibt.

 

„Recasting Space“: Hierbei geht es ihr nicht zuletzt darum, den Raum, die Räume, in denen sie sich als Künstlerin bewegt und artikuliert, mit eigenen Arbeiten zu erkunden und zusammen mit anderen Weiterdenkenden zu hinterfragen und als Teil der räumlichen Auseinandersetzung zu verstehen..